→ Schlussbericht als PDF laden
Das Programm der 28. Weltfilmtage Thusis, von 30. Oktober bis 4. November 2018, begeisterte! Ob neuste Perle des Weltkinos, engagierter Dok zu Themen wie Migration und Nachhaltigkeit oder Film über das Kino in Ländern wie der Mongolei oder Afghanistan – die rund 40 Dokumentar- und Spielfilme aus allen Kontinenten lockten wieder zahlreiche Filmbegeisterte von nah und fern ins Kino Rätia. Ein neuer Publikumsrekord zeigt, dass es den Weltfilmtagen in den letzten Jahren gelungen ist, nebst den Stammgästen aus der Region und der Schweiz, ein neues und auch jüngeres Publikum für die anspruchsvollen und eigenwilligen Filme zu interessieren.
Publikumsrekorde sind nicht die Absicht der Weltfilmtage Thusis, sondern ein aktuelles und überraschendes Programm bieten zu können mit engagierten Autorenfilmen, die fern des Kinomainstreams entstanden sind, zudem ermöglichen die Weltfilmtage persönliche und qualitativ hochstehende Gespräche mit FilmemacherInnen aus aller Welt und sie wollen auch ein Ort der Begegnung und des Austauschs in gemütlicher und familiäre Atmosphäre sein. Die Weltfilmtage Thusis sind ein kleines aber feines Filmfestival und genau das scheint den Geschmack des Publikums zu treffen. So war das Publikum auch dieser 28. Ausgabe mehr als nur treu. Etliche Vorstellungen waren ausverkauft und alle Filmgespräche überdurchschnittlich gut besucht. Zusammen mit den Schulvorstellungen besuchten fast 4500 Zuschauerinnen und Zuschauer die gut 40 Dokumentar- und Spielfilme, die im Kino Rätia in Thusis zu sehen waren. Notta Caflisch, die dieses Jahr neu als Vertreterin einer jüngeren Generation im Organisationskomitee Einsitz genommen hat, führt das grosse
Publikumsinteresse sowohl aufs attraktive Programm mit aktuellen Themen als auch darauf zurück, dass man mit publikumsnahen Genres wie Musikfilmen oder alternativen Western zunehmend auch ein jüngeres Publikum für die Weltfilmtage im Kino Rätia zu begeistern vermag.
Höhepunkte des Programms waren die verschiedenen Dokumentar- und Spielfilme, die sich mit dem topaktuellen Thema Migration befassten. Darunter etwa «Eldorado», der neue Film von Markus Imhoof, der von der Schweiz dieses Jahr ins Oskar-Rennen um den besten Dokumentarfilm geschickt wird. Um die stimmberechtigten Mitglieder der Oskar-Academy von ihren Werken zu überzeugen, präsentieren die Nominierten in aufwändigen Kampagnen ihre Filme jeweils in Sondervorstellungen in ausgewählten Kinos in den USA. Die vom Bundesamt für Kultur organisierte Kampagne für «Eldorado» startete einige Tage früher als geplant, was Markus Imhoof eine Teilnahme an den Weltfilmtagen leider unmöglich machte. Er bedaure die Absage sehr, meinte Imhoof in einem kurzfristigen Schreiben und entschuldigte sich beim Publikum. Aber Imhoofs spektakuläre Dokumentation über ein italienisches Kriegsschiff, das während der Aktion “mare nostrum“ Flüchtende in Seenot aus dem Mittelmeer fischte und ans italienische Festland brachte, hat das Publikum, im bis auf den letzten Platz ausverkauften Kinosaal, auch ohne Filmgespräch nachhaltig berührt.
Dem gleichen Thema mit einem anderen Ansatz genähert hat sich der chinesische Künstler und Aktivist Ai Weiwei. Die 28. Weltfilmtage haben seinen ersten Dokumentarfilm «Human Flow», der ein engagiertes Plädoyer für Menschlichkeit, Verständnis und Solidarität ist, am Donnerstag des Festivals gezeigt.
Ein weiterer Film des Programms, der das Thema Migration aufnimmt war das Drama der Schweizer Filmemachers Germinal Roaux «Fortuna», das in Thusis in einer Deutschschweizer Vorpremiere zu sehen war. In strengen Schwarz-Weiss-Bildern einer überw.ltigenden Natur zu Wasser und zu Berge, zeichnet der Film das Porträt der 14-Jährigen Äthiopierin Fortuna und lotet die Grenzen der Liebe aus.
Ein weiterer gemeinsamer Nenner von Filmen an den 28. Weltfilmtage war ihr Selbstbezug, der Bezug aufs Filmemachen nämlich. «Khook» aus dem Iran beispielsweise, der als Nocturne am Freitag des Festivals gezeigt wurde, erzählt vom Filmregisseur Hasan, der seit Jahren auf einer schwarzen Liste steht und keine Filme mehr drehen darf. Der Film erzählt dies nun aber nicht in der Form eines tiefgründigen Dramas, sondern einer farbig-ausgeflippten Groteske, voll von schwarzem Humor: denn zusätzlich geht in Teheran ein Mörder um, der Filmregisseure köpft und nur Hasan unbehelligt lässt. Diese schräge und böse Komödie, hat alle Erwartungen des Publikums unterlaufen, die es wohl ans Filmschaffen aus dem Iran hatte.
Begeistert hat der Film «Nothingwood» über den afghanischen Filmemacher und Exzentriker Salim Shaheen. Shaheen ist Autor, Regisseur, Schauspieler, Produzent in Personalunion und einer der bekanntesten öffentlichen Figuren Afghanistans. Die französische Dokumentarfilmerin Sonia Kronlund portraitiert Shaheen und dessen Arbeit und zeichnet damit auch das interessante Bild eines Landes, das sich seit Jahrzehnten im Kriegszustand befindet und in dem die Arbeit in der Unterhaltungsindustrie immer auch einen nicht ungefährlichen Drahtseilakt darstellt.
Dem mongolischen Dokumentarfilm «Passion» von Byamba Sakhya gelang es meisterhaft den ZuschauerInnen nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit der Monogolei und seiner Gesellschaft näherzubringen. Der Film stellt Vater und Sohn Jigjid und deren Leidenschaft, das Filmemachen, vor. Das Werk und die Arbeit dieser beiden Regisseure ermöglichte dem Publikum eine Reise durch die Geschichte der Mongolei und ihren sozialpolitischen Veränderungen.
Wie jedes Jahr gab es an den Weltfilmtagen eine Auslese der Höhepunkte des Weltkinos zu entdecken. Etwa «Out of Paradise», einen in Rapperswil geschriebenen, in der Schweiz finanzierten und in der Mongolei gedrehten Erstlingsfilm, der am wichtigen Shanghai Filmfestival gleich den Hauptpreis gewonnen hat. Autor und Regisseur Batbayar Chogsom kam vor über 20 Jahren fürs Studium in die Schweiz, verliebte sich und ist geblieben. Als Vater und Hausmann absolvierte er einen Drehbuchkurs an der Migros- Clubschule. Danach schrieb er das Drehbuch zu «Out of Paradise», der in der heutigen Mongolei, einem Land zwischen Tradition und Moderne, spielt. Das Nomadenpaar Dorj und Suren muss ohne Geld von ihrer Jurte in die ihnen unbekannte Hauptstadt Ulaanbaatar reisen, damit Suren ihre Risikoschwangerschaft in einem Spital sicher austragen kann. Batbayar Chogsom hat im von Hildegard Keller moderierten Filmgespräch anschaulich geschildert, wie er mit Hilfe vieler seiner Verwandten und Freunden in der Mongolei und mit bescheidensten Mitteln seinen preisgekrönten abendfüllenden Spielfilm gedreht hat.
Daniel von Aarburg (Presse WFT), Batbayar Chogsom, Hildegard Keller und Ueli Soom (OK-WFT)
Ein weiterer Gast der diesjährigen Weltfilmtage war der nepalesische Regisseur Deepak Rauniyar, der die internationale Filmwelt mit seinem mit einem Mikrobudget gedrehten Spielfilmdebüt «Highway» aus sich aufmerksam machte, das an der Berlinale 2012 in der Sektion Panorama seine Premiere hatte. Dies war der erste Film aus Nepal, der überhaupt an einem der wichtigsten internationalen Festivals im Hauptprogramm stand. Nebst «Highway» zeigten die 28.Weltfilmtage auch seinen neusten Film «White Sun» und nach der Aufführung gab es ein angeregtes Filmgespräch mit dem Regisseur, das ebenfalls von Hildegard Keller moderiert wurde.
Deepak Rauniyar mit Schauspielerin Asha Magrati und Hildeagrd Keller
Deepak Rauniyar und sein Film «White Sun» waren zudem auch zu Gast im Cinema Sil Plaz in Ilanz, das spannende Filmgespräch wurde kompetent von Walter Ruggle, Leiter des Filmverleihs trigonfilm, geleitet. Seit einigen Jahren übernimmt Cinema Sil Platz jeweils Filme aus dem Weltfilmtageprogramm und lädt einen Weltfilmtage-Gast nach Ilanz zu einem Filmgespräch ein.
Ein Publikumsliebling der diesjährigen Weltfilmtage war der Spielfilm «Pop Aye», in dem der gefeierte Architekt Thana in einem Elefanten seinen Freund aus seiner Kindheit erkennt, ihn freikauft und ihn zu sich nach Hause bringt. Ein abenteuerliches Roadmovie quer durch Thailand ist das Spielfilmdebüt der 30-jährigen Regisseurin Kirsten Tan aus Singapur, die mit «Pop Aye» vergangenes Jahr sowohl das Sundance wie auch das Zurich Film Festival gewann.
Leider musste der Kameramann Pio Corradi das Focus Gespräch krankheitshalber absagen. Die Weltfilmtage zeigen stattdessen den weltberümten Kunstfilm «Der Lauf der Dinge» von Peter Fischli und David Weiss für den Pio Corradi im Jahr 1997 die Kamera gemacht hat.
Eine spezielle Hommage richteten die Weltfilmtage dieses Jahr auch der Stiftung trigon-Filmverleih, die zwei Jahre älter als die Weltfilmtage Thusis ist und dieses Jahr ihr 30-jähriges Bestehen feiert. In drei Jahrzehnten hat trigon-film 646 sorgfältig ausgewählte Filme aus 96 Ländern in die Schweizer Kinos gebracht und in die trigon-Kollektion aufgenommen. Zum dreissigjährigen Jubiläum wurde während der 28. Weltfilmtage Thusis mit «La vida es silbar», der erfolgreichste Film aus der Kollektion trigon-film in einer neu restaurierten Fassung gezeigt. Walter Ruggle, Leiter des trigon-Filmverleihs, machte eine Einführung auf den kubanischen Erfolgsfilm und schaute auf die 30 Jahre trigon-Filmverleih zurück.
Walter Ruggle
Viele der Trigon-Filme feierten ihre Schweizer Premiere an den Weltfilmtagen in Thusis. Unvergesslich sind die vielen Begegnungen mit Filmschaffenden aus der ganzen Welt im gerammelt vollen Saal des Kino Rätia. Mit neugierigem Publikum, das selbst bei noch so stickiger Luft wach blieb und interessiert Fragen stellte. So auch dieses Jahr mit dem Film «Ága». Ein Spielfilm der von Nanook und Sedna erzählt, die die letzten Mitglieder ihrer ethnischen Gruppe sind und in einer Jurte auf den schneebedeckten Feldern im sibirischen Norden leben. Im Filmgespräch nach der Vorführung des Filmes, erzählten der bulgarische Regisseur Milko Lazarov und die Produzentin und Cutterin Veselka Kiryakova, eindrücklich von der Entstehung dieses Filmes bei -30C° und von ihrer Zusammenarbeit während der Entwicklungsphase und der Postprodkution. Auch dieses Gespräch wurde kompetent und dynamisch von der vom Schweizerfernsehen bekannten Moderatorin Hildegard Keller moderiert.
Veselka Kiryakova, Hildegard Keller und Milko Lazarov
In Zusammenarbeit mit der “Kulturregion Viamala“ haben die Weltfilmtage Thusis neu das Projekt “Weltfilmtage unterwegs“ entwickelt. Dabei wird ein ausgewählter Film aus dem Festivalprogramm als “Pre-View” an unterschiedlichen Standorten der Region Mittelbünden gezeigt. Eine Vorführung zu Stande gekommen ist in diesem ersten Jahr im Hotel Piz Mitgel in Savognin, im Cinema Stalla in Bivio und in der Mehrzweckhalle Andeer. Gezeigt wurde der kenianische Film «Rafiki»: die Geschichte um eine scheue lesbische Liebe im Nairobi von heute. Der Film reflektiert in Inhalt und Form ein gesundes Selbstbewusstsein afrikanischer Jugendlicher im Hier und Heute und zeigt eine andere, positivere Seite von Afrika, einem Kontinent der in Filmen meist als Opfer und Zone des Leidens auftritt. Mit seiner Buntheit und Frische war «Rafiki» auch ein Hit beim Publikum an den Weltfilmtagen im Kino Rätia, so musste sogar kurzfristig eine Zusatzvorstellung anberaumt werden, weil viele Besucherinnen und Besucher bei der ordentlichen Vorführung am Donnerstag 1. November 2018 keinen Platz mehr fanden.
Hans Hartmann (OK-WFT)
Die 29. Weltfilmtage Thusis finden kommendes Jahr, wieder in der Kalenderwoche 44, vom 29. Oktober – 3. November 2019 statt. Finanziell ist das Filmfestival dank der Unterstützung des vor sieben Jahren gegründeten Fördervereins gesichert. Dieser wurde 2010 aus der Taufe gehoben, als ausgerechnet zum 20-Jahr-Jubiläum die Weltfilmtage aus finanziellen Gründen ernsthaft in Frage gestellt waren. Das Festival sollte aber trotz abnehmender Unterstützungsgelder noch lange weitergeführt werden können. Rund 100 begeisterte Kinogängerinnen und Kinogänger helfen seither mit ihrem Beitrag das jeweilige Restdefizit zu decken und somit die Weltfilmtage langfristig finanziell abzusichern. Wir danken dem Förderverein zudem, dass er alle Schul-, Kinder- und Jugendvorstellungen unterstützt und allen unter 18-Jahren den Eintritt zu den Filmen am Mittwochnachmittag der 28. Weltfilmtage finanziert hat.
Ebenso geht der Dank an die Sponsoren des Fördervereins und der Weltfilmtage. Ohne deren Unterstützung, allen voran des SüdKulturFonds der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA, aber auch dem SwisslosFonds der Kulturförderung Kanton Graubünden, der Graubündner Kantonalbank und dem Claro Laden, wäre die 28. Ausgabe der Weltfilmtage nicht möglich gewesen. Ein herzliches Dankeschön für die Zusammenarbeit auch an alle Helferinnen und Helfer im Kino Rätia, sowie an das Team der Kinobeiz mit Weltfilmtage-Koch Georg Pichler und an das Team von Nicole und Thomas Rüegg-Banzer im Hotel Weiss Kreuz, weiter der Spielgruppe Purzelbaum für den Kinderhütedienst und der Schule St. Catharina in Cazis für den Apéro – aus aller Welt. Dem Verein Kulturregion Viamala danken wir herzlich für die schöne Zusammenarbeit für das Format “Weltfilmtage Unterwegs“ und éducation21/Filme für eine Welt danken wir für die lanjährige Zusammenarbeit. Zum zwölften Mal an den Weltfilmtagen Thusis zeigte éducation21, das nationale Kompetenz- und Dienstleistungszentrum für Bildung für Nachhaltige Entwicklung in der Schweiz, eine Auswahl an Filmen, die für Unterricht und Bildungsarbeit besonders geeignet sind. Trigon-Film danken wir herzlich für die Mithilfe bei Programm und Einladung von Gästen und artlink für die Finanzvermittlung und weitere Unterstützung. Weiter danken wir dem Festival International de Films de Fribourg FIFF und dem Internationalen Filmfestival Innsbruck IFFI für die gute Kooperation. Und ein herzliches Dankeschön auch an die lokalen und regionalen Medien, die auch dieses Jahr wieder zahlreich und umfangreich über die wunderschönen Tage und Nächte der Weltfilmtage Thusis berichtet haben.
Thomas Keller ist Urheber aller Fotos in diesem Bericht (ausgenommen Filmplakate).
Thusis, Dezember 2018
Flurina Badel