Das Reich der Mitte war in den letzten Jahrzehnten zahlreichen Veränderungen unterworfen. Der Schweizer Dokumentarfilmer Luc Schaedler führt uns diese anhand dreier Beispiele vor Augen.
Der Film erzählt von den Brüchen, denen die Menschen im heutigen China durch die rasante Entwicklung ausgesetzt sind: im trügerisch-idyllischen Yangshuo im regenreichen Süden; im apokalyptischen Kohlebaugebiet von Wuhai im ausgetrockneten Norden und in Chongqing, dem urbanen Moloch am Jangtsekiang. Die Protagonisten sprechen über die unbewältigte Vergangenheit, die schwierige Gegenwart und ihre zaghaften Schritte in die Zukunft. Der Film zeichnet dabei ein vielschichtiges Bild der Befindlichkeit der Menschen dieses komplizierten Landes.
Der Bauer Wie lebt mit seiner Frau in einem Dorf im Norden des Landes. Trotz einsetzender Wasserknappheit in den Achtzigern hat das Ehepaar ihren Wohnort nicht aufgegeben.
Tausende Kilometer weiter südlich gibt es Regen genug. Dort aber ist das Dorf Jiuxiancun noch immer verwundet von einem Massaker, dass in den Sechzigerjahren zur Zeit der Kulturrevolution verübt wurde. Der dritte Schauplatz ist die Mega-City Chonqing. Chaomeis Adoptiveltern möchten, dass ihre Tochter studiert, respektieren sie ihren Entscheid, in den Tag hinein zu leben. Anschliessend Filmgespräch mit Luc Schädler, Moderation Thomas Krempke
«Salt of this Sea» ist ein Roadmovie, das die Suche nach den verlorenen Wurzeln beschreibt und nach dem, was man als Heimat bezeichnet.
Annemarie Jacir lädt uns in ihrem ersten Spielfilm auf eine verrückte Reise durch eine Region ein, die ihren Figuren eigentlich verschlossen wäre, weil es hier Freiheit nicht gibt. Ihr Roadmovie führt uns durch unbekannte Landstriche in Palästina und lässt uns eintauchen in die Geschichte ihrer Heimat. Es ist der Regisseurin gelungen, einen atmosphärisch dichten, berührenden Film zu machen, ohne polemisch zu sein.
Die 28-jährige Soraya reist aus Brooklyn, wo sie aufgewachsen ist, zum ersten Mal in die Heimat ihrer Vorfahren, nach Palästina. Hier sucht sie das eingefrorene Geld ihrer Grosseltern vom Konto in Jaffa abzuheben und begibt sich unverhofft mit dem hier geborenen Emad auf eine Reise durch die Landschaften. Jacir zeigt auf, was es heisst, wenn einem ganzen Volk die Heimat weggenommen wird und man das Haus der Vorfahren von anderen bewohnt vorfindet. Das ist alles andere als nur ein Phänomen des Nahen Ostens, es zeigt sich dort einfach besonders intensiv.
Das Roadmovie «Bekas» erzählt die Geschichte zweier Brüder auf der Suche nach dem, was wirklich im Leben zählt.
Zwei kurdische Brüder, Zana und Dana, wachsen in den 1990er Jahren im von Saddam Hussein beherrschten Irak auf. Ohne Eltern und ohne ein Zuhause haben sie kein leichtes Leben. Eines Tages bietet sich ihnen die Möglichkeit, ein paar Szenen aus Superman heimlich durch ein winziges Guckloch zu sehen. Sie sind fasziniert und glücklich zugleich. Es scheint einen Weg aus ihrer Not zu geben: Sie entschliessen sich nach Amerika zu gehen, “die grosse Stadt, in der Superman lebt”. Superman kann dann all ihre Probleme lösen und alle Bösen, vor allem Saddam Hussein, bestrafen. Dana tüftelt also einen Plan aus, um nach Amerika zu kommen. Doch sie haben weder Geld noch Pässe und ihr einziges Transportmittel ist ein Esel, den sie “Michael Jackson” taufen.
Inuk hat ein schweres Leben in Grönlands kalter Hauptstadt. Er lebt mit seiner alkoholkranken Mutter und seinem brutalen Stiefvater zusammen. Eines Morgens wird der gänzlich unterkühlte Junge von der örtlichen Sozialarbeiterin aus einem verlassenen Auto gezogen. Kurz entschlossen schickt sie Inuk nach Norden auf ein kleines Inselchen inmitten der arktischen See, auf dem ein Kinderheim errichtet wurde. Hier lernt Inuk den Jäger Ikuma kennen. Er jagt Eisbären, doch sind seine ausserordentlichen Fähigkeiten im Schwinden begriffen, und er wird von Erinnerungen an seine Vergangenheit geplagt. Die Direktorin des Kinderheims, Aviaaja, schlägt Inuk und dem Jäger Ikuma vor, dass der Alte den Jungen mitnimmt auf die alljährliche Seehundjagd. Diese ist gefährlich und mit einer langen entbehrungsreichen Reise verbunden. Aviaaja glaubt, dass es Inuk gut tun würde, mit dem erfahrenen Ikuma zu reisen. Doch diese epische Reise verändert beide, und sie lernen sich selbst und die sich ihnen offenbarenden Herausforderungen zu meistern.
Der Ghana-Schweizer Yayra Glover will mit der Produktion von Bio-Kakao den Bauern in Ghana zu mehr Unabhängigkeit und besseren Lebensbedingungen verhelfen. Der Film zeigt Chancen und Stolpersteine des Projekts und thematisiert verschiedene Mechanismen des Welthandels und Anforderungen an einen Kleinunternehmer.
Der Film plädiert thesenartig und in der Form eines Kampagnenfilms für den Verzicht auf Flaschenwasser. Provokativ und bisweilen auch etwas plakativ fordert er zum Trinken von Leitungswasser und zu einem nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser auf – aus ökologischen, ökonomischen und sozialen Überlegungen.
Jedes fünfte Brot wird weggeworfen und jede zweite Kartoffel schon bei der Ernte aussortiert. Nüchtern und prägnant sucht der Film nach den Ursachen und lässt Menschen zu Wort kommen, die die Verschwendung stoppen wollen. Und er konkretisiert die globale Dimension des Themas am Beispiel des Bananenimports aus Kamerun.
Alte Computer, Fernseher und Kühlschränke werden – oft illegal – nach Afrika verschifft. Der Film begleitet den ghanaischen Journalisten Mike Anane, der sich auf Ghanas Müllkippen umsieht und die Problematik des dortigen Elektroschrott-Recyclings erläutert. Er stellt den Verbrauch elektronischer Alltagsgeräte in einen überraschenden globalen Kontext.
In Dandora, einem der Slums von Nairobi, wachsen die Abfallberge in den Himmel. Der Film stellt verschiedene kreative Recycling-Ideen vor. So entstehen aus den Müllbergen Biogas, Kompost und Sandalen. Jugendliche erklären, weshalb sie die Initiative wichtig finden, und laden die Betrachter/innen im Norden ein, ihre Vorstellungen von Afrika zu revidieren.
Eine Veranstaltung von:
www.filmeeinewelt.ch
www.education21.ch
www.weltfilmtage.ch
Marokko, im Hohen Atlas. Die Hirtenfamilien im entlegenen Dorf Ifri leben wie im Mittelalter. Kein fliessendes Wasser, keine Strasse, keine Schule und keine medizinische Versorgung. Seit Jahren warten sie darauf, dass der Staat endlich eine Strasse baut, denn diese hat für alle, die Isolation und Armut hinter sich lassen wollen, absolute Priorität. Doch eines Tages steht fest, es wird keine Strasse geben, dafür werden Stromleitungen verlegt. Schon bald treffen die ersten Fernseher und damit die Verlockungen der Konsumwelt ein. «Le thé ou l’électricité» ist eine wunderbare Parabel über die Mühsal und die Dynamik des zivilisatorischen Fortschritts.
Dario Aguirre wurde 1979 in Ecuador geboren. Anstatt mit ins Grill-Geschäft seines Vaters einzusteigen, ist er mit 20 Jahren nach Deutschland gegangen – und Vegetarier geworden. Als solchen stilisiert ihn der Film gleich in der ersten Szene spielerisch. Oder vielmehr: Der Regisseur präsentiert sich selbst vor der Kamera: Salatblätter vertilgend und Maiskolben grillend. Festgehalten mit Stop-Motion-Technik, pointiert kommentiert durch die eigene Voice-Over-Erzählung.
Um das marode Grillrestaurant seines Vaters zu retten, reist Aguirre zurück nach Ecuador. Was als skurrile Debatte über Öffnungszeiten, Pommes und Exceltabellen beginnt, entwickelt sich zu einem berührenden Familiendrama. Dieser zweite abendfüllende Dokumentarfilm von Dario Aguirre könnte aber auch gut «Darios Vater» heissen. Denn der Film erzählt nicht nur mit heiterem und hellsichtigem Sinn für Absurdität davon, wie Dario César mit seinem verschuldeten Restaurant helfen will. «Césars Grill» erzählt auch davon, wie der Sohn sich an seinem Vater abarbeitet.
Inmitten der grünen Lunge Europas gibt es eine Region, in der die Menschen ausserhalb unserer Epoche und unseres Handelssystems zu leben scheinen. In den rumänischen Karpaten arbeiten viele Bauern nicht für Geld, sondern nur gerade für ihren eigenen Bedarf. Ihre Methoden und Werkzeuge sind dieselben, wie wir sie im 19. Jahrhundert in ländlichen Gegenden der Schweiz kannten. Die Chronik eines Dorfes, wo alles mit dem Pferd gemacht wird – zum Zeitpunkt, da die Moderne einbricht.
Kambodscha ist zu einem beliebten Reiseziel geworden. In den 1970er Jahren herrschte hier ein Terrorregime, das die Bevölkerung dezimierte und die Kultur zerstörte. Vor der Roten Khmer blühte im Land des Mekong eine grosse Filmkultur. Davy Chou sucht ihre übriggebliebenen Spuren und gestaltet eine Liebeserklärung ans Kino und eine Ode an die Erinnerung. Zwischen 1960 und 1975 entstanden fast 400 Filme in Phnom Penh, von denen nur noch 30 existieren. Bilder waren dem Terrorregime ein Gräuel, die meisten Filmschaffenden wurden Opfer des Genozids. Davy Chou, Enkel eines der wichtigsten Produzenten der Goldenen Zeit, rekonstruiert in seinem sanften Filmessay das kinematografische Erbe des Landes. Wie ein Archäologe geht er dabei vor, wissend, wie unmöglich es eigentlich ist, mit Überlebenden über Lebenswerke zu sprechen, die zwar zerstört wurden – aber nicht vergessen.
Die ehemalige „Bocksiedlung“ des Innsbrucker Stadtteiles Reichenau ist heute, achtzig Jahre nach ihrer Entstehung, nahezu in Vergessenheit geraten. Als Bettler, Gauner und Karrner waren die BewohnerInnen verschrien und mit dem Gesetz sollen sie häufig in Konflikt geraten sein. Zu Gunsten eines weitgehend selbstbestimmten Lebens verzichteten sie auf Komfort und soziale Sicherheit. Sechs berührende Geschichten erzählen vom Alltag, von Gewalt, von Liebe und Zusammenhalt. Ein Film über das Leben in seiner Verletzlichkeit. Im Anschluss Filmgespräch mit Melanie Hollaus, Moderation Helmut Groschup
Der kleinwüchsige Saili lebt mit seiner schönen Frau und deren Tochter als Aussenseiter am Dorfrand. Die Nachbarn drohen, ihm das Land wegzunehmen, auf dem das Grab seines Vaters liegt. Eine Familienfehde bringt zusätzliches Unheil in das Leben Sailis. Um die Harmonie wieder herzustellen und sich den Respekt seiner Umgebung zu verschaffen, entscheidet sich der stolze Saili, den ihm zustehenden Platz als Dorfredner einzunehmen. Das darauffolgende Rededuell entwickelt seine ganz eigene Spannung und Dramaturgie, bei dem Gewinner und Verlierer schliesslich instinktiv das Ergebnis anerkennen. "Ich zeige das Bild meiner Heimat, das mir während meiner Kindheit begegnet ist," so Tusi Tamasese. In seinem Debütfilm verbindet er eine klassische Underdog-Geschichte mit einer Handlung um die in Samoa traditionell hochgeschätzte Redekunst. Es ist der erste Film, der ausschliesslich auf Samoa und in der Landessprache gedreht wurde.
Der kurdische Imker Ibrahim Gezer liebt es, wenn er sich um seine Bienen kümmern kann. Auf der Realp und in Andermatt hat er einige Kolonien untergebracht und versucht wann immer möglich vor Ort zu sein. Doch dies ist gar nicht so einfach. Da in der Schweiz das Bienenzüchten nicht als Beruf, sondern als Hobby angesehen wird, ist Gezer gezwungen einer "richtigen" Arbeit nachzugehen. Er verdient sein Geld am Förderband.
Was den Mann aber noch mehr bedrückt ist seine Vergangenheit. In der Türkei hatte er über 500 Bienenvölker, ein Haus und eine Familie mit elf Kindern. Doch durch den Kurdenkrieg verlor er alles, und so musste er in die Schweiz flüchten. Dort versucht er nun wieder Fuss zu fassen, was jedoch alles andere als leicht ist, da er die deutsche Sprache nicht beherrscht und er sich ständig Sorgen um seinen Sohn Ali machen muss, der als Guerilla in der Heimat kämpft. Filmgespräch mit Mano Khalil und Ibrahim Gezer, Moderation Flurina Badel Die Vorführung von «Der Imker» sponsort der Claro Laden Thusis
«Nairobi Half Life» von Tosh Gitonga legt Zeugnis der Vitalität ab und zeigt, dass das Engagement sich lohnt. Ein packendes Stück afrikanisches Kino von heute.
Mwas lebt in der kenianischen Provinz und verkauft DVDs. Als er in der Hauptstadt Nairobi sein Glück versuchen will, wird er zuerst einmal mit dem schwierigen Alltag in der Metropole konfrontiert. Der Weg zu seinem Traumberuf Schauspieler ist mit vielen Hindernissen gespickt.
Mwas muss viel lernen. Allein kämpft er um seine Chance im Grossstadt-Dschungel, um seine Zukunft. Er landet in einer Gang, behält aber seinen Traum vom Schauspielen immer fest im Blick, beginnt ein gefährliches Doppelleben zwischen Off-Theatertruppe und Raubzügen. «Nairobi Half Life» überrascht. Das ist ein pulsierender Gangsterfilm aus Kenia: lustig, traurig, hart – wie das Leben in Nairobi, und ein authentischer Einblick in Afrikas Grossstädte, und der Film zeigt, wie erfrischend das junge Kino ist.
Jeanine Meerapfels behutsamer Debütfilm von 1981 ist eine doppelte Identitäts-Suche mit zwei Lebens- und Liebesgeschichten: Mutter und Tochter, zwei Frauenschicksale, die sich in dem Film ineinanderspiegeln, sich vielfach kreuzen, sich gegenseitig ergänzen: Malou, Animierdame im Strassburg der 30er Jahre, heiratet einen wohlhabenden deutsch-jüdischen Kaufmann und wird in die Emigration nach Südamerika verschlagen – das ungewöhnliche Schicksal einer kleinen Französin, die nach oben wollte. Und Hannah, eine moderne, junge Frau, die im Berlin der 80er Jahre an ihrer Rolle in einer konventionellen Ehe mit einem Architekten zweifelt und im Leben der Mutter nach Antworten für ihre Probleme sucht.
«Violence. My Home, My Family» ist ein Film über Wut, Mut und dem Willen neue Wege zu beschreiten. Ein Film über die Kraft der Gemeinschaft und über Frauen, von denen Frauen und Männer anderer Kulturen lernen können.
Die Hauptprotagonistinnen des Films sind sechs von häuslicher Gewalt betroffene Bewohnerinnen des Frauenhauses Kuteera in Kolar, einem kleinen Dorf in Südindien. Die Frauen sind zwischen 19 und 60 Jahren alt und wurden sehr jung verheiratet. Viele von ihnen mussten nach der Heirat bei der Familie ihres Mannes leben und dort für den Lebensunterhalt der ganzen Familie aufkommen. Etwa, weil die Männer arbeitslos, alkoholsüchtig oder aus anderen Gründen arbeitsunfähig waren. Die meisten der Frauen haben nur wenig Ausbildung genossen. Häusliche Gewalt haben sie durch den Ehemann, die Schwiegereltern, den Schwager oder die Schwägerin erlebt.
Anschliessend Filmgespräch mit Caudia Pfäffli, Moderation Flurina Badel
Eine weite, sonnendurchflutete Landschaft im Nordwesten Australiens. Hier, in einer Wellblechhütte am Rande eines abgelegenen Ortes, lebt Pete mit seinem Grossvater, beide Aboriginals, den er «Jubi» nennt. Der Ort ist verwahrlost und doch romantisch. Immer brennt ein Lagerfeuer, nachts strahlen die Sterne in einzigartiger Klarheit. Der Grossvater lebt die alten Traditionen und erzählt von der mystischen Verbindung seines Volkes zum Land der Ahnen. Petes Mutter lebt in der Stadt und hat versprochen zurückzukommen, aber sie meldet sich nicht. Als eine Minengesellschaft droht, die Siedlung abzureissen, machen sich Pete und sein bester Freund heimlich auf den Weg, um den Boss der Firma von dem Plan abzubringen. Dabei verirren sie sich im Outback. Hier erfahren sie die magische Kraft der Natur, die sie zugleich beschützt und bedroht. Nur dank Jubis Wissen entgehen sie dem Tod. Am Ende muss Pete eine schwere Entscheidung treffen, fast zu schwer für einen Jungen von zehn Jahr.
Die Berlinale-Jury hat «Mutter und Sohn» zum besten Film des Festivaljahrgangs 2013 gekürt. Jetzt kommt das Drama um einen tragischen Unfall und eine unerbittlich liebende Mutter ins Kino. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Cornelia. Als der von ihr heiss geliebte und verhätschelte erwachsene Sohn Barbu bei einem Verkehrsunfall ein Kind tötet, setzt sie alle Hebel in Bewegung, um ihn vor einer Haftstrafe zu verschonen. Und Barbu, seit dem Unfall im Schockzustand, kann nichts weiter tun, als seiner Mutter in seiner Hilflosigkeit die Kontrolle zu überlassen. Sie spielt dazu alle Trümpfe aus, die ihrer Meinung nach einer Oberschicht-Angehörigen zustehen: Sie versucht, Polizisten und Beamte zu bestechen und sogar die Nachsicht der in Armut lebenden Opferfamilie zu erkaufen. Was Cornelia aber nicht kaufen kann, das ist die Liebe ihres Sohnes.
Es ist die Geschichte einer engen und widersprüchlichen Freundschaft zweier Frauen vor dem Hintergrund der Militärdiktatur in Argentinien. Den Kinderschwur, Schauspielerin zu werden, hat nur Raquel verwirklicht. Maria heiratet einen Elektriker und wird Mutter dreier Kinder. Als die Militärs 1976 die Macht übernehmen, wird Marias ältester Sohn Carlos wie zahllose andere verschleppt. In ihrer Verzweiflung wendet sich Maria an die inzwischen prominent gewordene Freundin, die sich solange mit ihr auf die Suche nach dem Sohn begibt, bis sie selbst bedroht wird. Raquel zieht nach Berlin, in die Stadt, die ihre Eltern nach Hitlers Machtergreifung verlassen mussten. Maria schliesst sich unterdessen den Müttern der Plaza de Mayo an, einer Gruppe argentinischer Frauen, alle auf der Suche nach ihren verschleppten Verwandten.
Als sich die Freundinnen wieder begegnen, haben sich beide stark verändert. Raquel kehrt nach der Militärdiktatur 1983 nach Buenos Aires zurück. Sie ist ängstlich geworden, versucht sich anzupassen und zu vergessen. Sie will, dass ihre Freundin aufhört zu fordern, dass sie einsieht, dass Carlos tot ist. Aber Maria besteht darauf: ihr Sohn ist nicht tot, er ist "verschwunden". Nichts soll vergessen werden, so dass sich nichts wiederholt. Jeanine Meerapfel wird am Sonntag im Anschluss an «El amigo alemán» in einem Filmgespräch zu sehen und zu hören sein.
Der Arzt teilt Youssef mit, dass er sich dringend einer Operation unterziehen muss. Allerdings übersteigen die Kosten dieses Eingriffes seine spärlichen Einkünfte als Taxifahrer. Also muss er sein Alleinsein überwinden und versuchen, bei anderen das nötige Geld zu finden. «The Last Friday» ist der überzeugende Erstling des jungen jordanischen Filmemachers Yahya Alabdallah. Der Film besticht durch die Einfachheit der Inszenierung, die Ruhe der Betrachtung. Der Regisseur folgt dem erschöpften und entmutigten Taxifahrer Yousef, auf Schritt und Tritt unbeirrt durch den einsamen und wortkargen Alltag. Die Einfachheit mit den seltenen Dialogen lässt Platz für eine genaue und feinfühlige Beobachtung der täglichen Verrichtungen, festgehalten in sorgfältig gesetzten Bildern. Im Grunde genommen finden wir in all diesen Gesten und sogar in Situationen, die hoffnungslos scheinen, Kleinigkeiten, die uns ein Lächeln entlocken. Denn das Leben, das echte Leben, ist nie nur schwarz. Kleine Augenblicke voller Humor, den dunklen Nächten Ammans abgerungen, geben dem Film Farbe und eine unmerklich schwebende Leichtigkeit. «The Last Friday» hat nicht umsonst in Dubai den Darstellerpreis und den Jurypreis gewonnen. Der Film blickt ganz ruhig in den arabischen Alltag.
Inmitten der türkischen Einöde bewirtschaftet der pensionierte Förster Faik gemeinsam mit seinem jüngeren Sohn und dessen Familie ein Stück Land. Wilde Natur, abgeschiedene Einöde und karge Berglandschaft: Der Schauplatz korrespondiert mit dem Innenleben der Protagonisten. Entsprechend hält sich der offene Umgang mit Problemen in Grenzen.
Als Faiks älterer Sohn Nusret zu Besuch kommt, überschattet der Streit mit den „Anderen“ das Wiedersehen. Doch das gemeinsame Problem der Männer ist, dass die Familie den Konflikt im Stillen austrägt.
Die „Anderen“, das sind Nomaden, die sich hinter den Bergen, auf Faiks Grundstück, niedergelassen haben, um ihre Ziegen zu weiden. Es ist eine Bedrohung, die sich schon längst nicht mehr auf physischer, sondern vielmehr auf psychischer Ebene abspielt. In Emin Alpers Spielfilmdebüt verdichtet sich die Atmosphäre sichtbar, Gefühle brodeln unter der Oberfläche. Ein subtiles Meisterwerk, intelligent und spannend.
In Cannes und ausgezeichnet als bester Erstling führt uns Anthony Chen mit «Ilo Ilo» vor Augen, was gutes Kino ausmacht: Humor, Emotion und Suspense.
Jiale ist ein aufgeweckter Junge, der 1997 mit seinen Eltern in der schillernden Geschäftsmetropole Singapur lebt. Er ist auf sich allein gestellt, weil Vater wie Mutter stark beruflich eingespannt sind. So entwickelt Jiale seine eigenen Tricks und Wege, um sich daheim und in der Schule zu behaupten. Das führt zwangsläufig dazu, dass er aneckt. Und das tut er auch, als die Eltern mit Teresa eine Nanny aus den Philippinen einstellen. «Ilo Ilo» war in Cannes einer jener Filme, die das Herz höher schlagen liessen. Dabei betreibt Anthony Chen gar keinen grossen Aufwand: Er erzählt ganz einfach aus dem Alltag eines Knaben in einer Welt, die für ihre Kinder keine Zeit hat, weil die Erwachsenen alle so stark beschäftigt sind. Es ist die Beziehung zwischen Jiale und Teresa, die er bald einmal ins Zentrum rückt, um über sie von ein paar elementare Dinge im Leben zu betrachten. Er tut dies auf ausgesporochen lockere Art, lässt den Alltag seine Spässe treiben, ohne dass er seine Figuren der Lächerlichkeit preisgeben würde.
2008 nimmt der erfolgreiche amerikanische Basketballspieler Kevin Sheppard das Angebot an, in der Iranian Super League zu spielen. Eine grosse Herausforderung: Er soll das neu gegründete blutjunge Team A.S. Shiraz in die Playoffs führen. Während die Spannungen zwischen dem Westen und dem Iran zunehmen und die Eskalation kurz bevor zu stehen scheint, versucht Kevin, zwischen Sport und Politik zu trennen. Er muss feststellen, dass dies im Iran unmöglich ist. In dieser Zeit macht er die Bekanntschaft dreier unabhängiger und selbstbewusster Iranerinnen. Durch sie wird Kevins Wohnung zu einem Ort offener Diskussionen über Politik, Religion und Geschlechterrollen. Kevins Saison im Iran gipfelt in etwas Grösserem als Basketball: In der aufkommenden und anschliessenden Unterdrückung der «grünen Revolution» im Iran.
Wenn sich die Menschen in Wang Bings neuem Dokumentarfilm in ihren Zimmern aufhalten, wird die Leinwand von einer beinah alles verschlingenden Dunkelheit bestimmt. Im Zentrum stehen drei Mädchen. Während sich die beiden Jüngeren ihrem Spieltrieb hingeben, versucht die Älteste Ordnung in dieses Chaos zu bringen. An den Wänden türmen sich Berge von Kartoffeln, ein offenes Feuer brennt in der Mitte des Zimmers, taucht nur Teile der kindlichen Gesichter in ein warmes Licht. Die Mutter ist seit langer Zeit verschwunden, der Vater arbeitet in einer mehrere hundert Kilometer entfernten Stadt. Lediglich Tante und Grossvater, die einige Häuser weiterleben, kochen den Kindern ab und zu ein Mittagessen gegen Arbeitsleistungen.
Trotzdem wird «Three Sisters» nie zum reinen Elendsdokument. Die Bilder sind stets von einer unaufdringlichen Schönheit durchsetzt, und gerade weil Wang sich so viel Zeit nimmt, versucht sein Film immer der Komplexität der Situation gerecht zu werden. Wang dreht Filme darüber, was in seiner Heimat schiefgelaufen ist. Neben dem von Armut und Isolation geprägten Leben der Mädchen erzählt der Film auch von einem Dorf, an dem die Industrialisierung vorübergezogen ist. Ein Ort, an dem nur sehr Alte und sehr Junge zurückbleiben, während die dazwischen in der Stadt ihr Glück suchen.
Der 12-jährige Veysel halb Kurde, halb Türke, lebt mit seiner Familie seit wenigen Monaten in Wien. In der Schule ist der schüchterne Junge ein Aussenseiter und ein Problemschüler. Zuhause lehnt sich sein älterer Bruder Mazlum gegen den Vater auf, der als kurdischer Freiheitskämpfer jahrelang in den türkischen Bergen verbracht hat und somit aus Mazlums Sicht die Familie im Stich gelassen hat. Als der Konflikt zwischen Vater und Sohn eskaliert, läuft Mazlum von zuhause weg, was wiederrum zum Streit zwischen Mutter und Vater führt.
All diese Probleme und Konflikte drohen Veysel zu erdrücken, wären da nicht seine hoffnungsvollen Tagträume in denen er zu seiner Ana flüchtet, einem Mädchen aus seiner Klasse, in das Veysel unendlich verliebt ist. Als Veysel ein deutsches Gedicht vor der Klasse vortragen muss, bittet er seinen Nachbarn Cem um Hilfe. Der 33 jährige türkische Macho soll ihm dabei helfen, Veysels Lieblingsgedicht „Deine Schönheit ist nichts wert“ von Asik Veysel ins Deutsche zu übersetzen. Cem ist erstaunt, dass ein 12 Jähriger sich für die Musik und Texte des berühmtesten türkischen Dichters und Sängers des 20. Jahrhunderts interessiert. Mit seiner Hilfe gibt sich Veysel grosse Mühe das Gedicht auf Deutsch auswendig zu lernen, um so vor der ganzen Klasse auf Ana Eindruck machen zu können.
Der Film zeichnet den Werdegang des aus armen Verhältnissen stammenden Robert Mugabe nach, der – inspiriert von seinem Ghana-Aufenthalt und unter dem Eindruck des dortigen Präsidenten Nkruhma – zunächst zum „Helden der Unabhängigkeit“ Simbabwes und zu dessen erstem gefeierten Präsidenten nach der Unabhängigkeit aufsteigt. Zunächst gilt das unabhängige Simbabwe als vorbildliches Modell einer Gesellschaft, wo Schwarz und Weiss friedlich zusammenleben. Doch schon während des Befreiungskampfes wird auch die Rücksichtslosigkeit Mugabes gegenüber echter oder vermeintlicher Opposition erkennbar – und so erscheint dann seine spätere Transformation zum Dauer-Präsidenten und rücksichtslosen Autokraten weniger überraschend als vorhersehbar. Der Film verwebt die Biographie Mugabes mit dem zeitgeschichtlichen Kontext des vormaligen Rhodesien, dann Simbabwe – auch und gerade im Kontext des Kalten Krieges bzw. des Kampfes gegen das Apartheids-Regime in Südafrika. Freunde und politische Weggefährten Mugabes kommen zu Wort – mit ihrer Bewunderung für den politischen Aktivisten, aber auch ihrem zunehmenden Unverständnis, das sich später in Distanz und dann teils offene Gegnerschaft verwandelt. Einschätzungen von Kritikern werden ergänzt durch Aussagen direkt betroffener Opfer. Enttäuschte Anhänger Mugabes fragen sich selbst, warum sie sich nicht früher und entschiedener gegen ihn gewandt haben.
«When I Saw You» erzählt von den Fähigkeiten eines Kindes, Erwachsene daran zu hindern, sich mit etwas abzufinden, wenn es doch Hoffnung auf Veränderungen gibt. Der elfjährige Tarek ist mit seiner Mutter Ghaydaa 1967 im Flüchtlingscamp Harir gestrandet. Palästina ist nah, aber unerreichbar, so wie sein Vater. Zwischen Zelten und improvisierten Behausungen haben sich die Erwachsenen im Wartezustand eingerichtet. Der Junge hasst die Enge, den blöden Lehrer, das schleimige Essen – und die Geduld der anderen. Als eine ältere Frau ihm erzählt, sie sei schon über 20 Jahre im Camp, reift sein Entschluss auszubrechen. Er will nach Hause, zu seinem Vater, haut ab, findet den Weg in ein Rebellencamp. Tarek ist nur halb so gross wie die coolen Männer mit Bärten und langen Haaren, Waffen und PLO-Tüchern, die rebellische Musik hören und entschlossen sind zu kämpfen. Als Ghaydaa Tarek endlich findet, zwingt sie erst nur die Dickköpfigkeit ihres Sohnes, selbst auch zu bleiben. Doch das Verhältnis der Mutter zu ihrem Sohn verändert sich mit jedem Tag im Camp, wo die beiden spüren, dass eine Zeit des Aufbruchs begonnen hat, nicht nur in Jordanien und Palästina. Anschliessend Filmgespräch mit Annemarie Jacir, Moderation Helena Nyberg
Der Eisenpicker Nazif findet seine schwangere Frau in Schmerzen. Der Arzt stellt fest, dass das Ungeborene tot sei und unverzüglich entfernt werden müsse. Nur: woher das Geld nehmen? Nazif versucht alles, um seine Frau zu retten.
Er hat etwas Atemloses, dieser Film, und man spürt es schon nach wenigen Minuten: Das ist eine Geschichte, die der Filmemacher rasch erzählen musste. Zu unglaublich, um wahr zu sein. Einen Dokumentarfilm wollte Danis Tanovic nicht drehen, das wäre ihm zu versachlicht geworden. Ein Spielfilm sollte es sein, aber keiner der falschen Emotionen. Und so entschied er sich zu etwas Ungewöhnlichem: Er lässt die Geschichte, die sich in seiner bosnischen Heimat ereignet hat, von denen nachspielen, die sie erlebt haben. Einzig die Ärzte, die die Frau abgewiesen haben, waren nicht bereit, ihre Rolle nachzuspielen.
Wie oft spürt man noch diese Dringlichkeit im Kino? Wie häufig sitzt man noch da, schaut zu und staunt, erzählt noch Wochen später vom Gesehenen. Oder müsste man hier sagen: Vom Erlebten? Gerade weil er nichts dramatisiert, gerade weil er einfach hinschaut, lässt uns Danis Tanovic teilhaben und gewährt uns einen Einblick in den Alltag einer Roma-Familie am Rand Europas. Es ist ein Leben aus dem Tag heraus, hautnah mit Elementen des Wirklichen, ein atemloser Realismus.
Nach einem Unfall übernimmt Nihat eine einsame Arbeit als Brandwächter an. In der Nähe seines Überwachungsturms befindet sich eine Tankstelle. Sie ist der einzige Ort in der Gegend, wo sich Menschen begegnen. Nur ab und zu wird er abgelöst. Zur Aussenwelt hat er ansonsten über Funk Kontakt, meist zu seinen Kollegen, ebenso Wächtern, die von anderen Berggipfeln aus ebenso ihren Dienst tun.
Als Nihat eines Tages zum Busbahnhof des im Tal liegenden Städtchen Tosya hinabsteigt, um sich Essen zu holen, lernt er die schöne und scheue Literatur-Studentin Seher kennen, die, wie sich bald herausstellt, Hals über Kopf aus der nächst grösseren Stadt Bolu hat fliehen müssen.
Zögerlich kommen sich Nihat und Seher näher. Die beiden Einzelgänger tragen dunkle Geheimnisse mit sich herum. Als sich die Situation für Seher jedoch zuspitzt, finden beide Zuflucht und Sicherheit in Nihats Turm. Regisseur Pelim Esmer gelingt es in seinem Drama „Watchtower“, ausgesprochen feinfühlig und intensiv die bewegende Geschichte zweier Aussenseiter zu erzählen, die beide in schwierigen Lebenssituationen gefangen sind, aber auch vor einem möglichen Neubeginn ihres Lebens stehen.
Regisseur Musa Syeed hat ein ausserordentlich vielschichtiges Porträt seiner Heimat vor dem Hintergrund der globalen, ökologischen und politischen Umwälzungen geschaffen.
An den Ausläufern des Himalaya in der indischen Provinz Kaschmir liegt der idyllische Dal-See, ein Ort voller Mythen, wo der junge Bootsmann Gulzar in einem Stelzenhaus direkt über dem See wohnt. Er verdient seinen Lebensunterhalt, indem er Touristen im Boot über den See fährt. Um Armut und Kriegsgefahr zu entkommen, beschliesst er, mit seinem besten Freund Afzal nach Delhi zu reisen. Dieser Plan wird plötzlich durch eine über ganz Kaschmir verhängte Ausgangssperre vereitelt.
Durch Zufall lernt Gulzar die junge Wissenschaftlerin Asifa kennen, der er dabei hilft, für eine Umweltstudie Wasserproben aus dem See zu entnehmen. Als ihm das Ausmass der Umweltverschmutzung klar wird und er sich zusätzlich in Asifa verliebt, gerät seine Welt aus den Fugen. Wofür soll er sich entscheiden? Für ein fortschrittliches Leben in der glitzernden Grossstadt oder für seine Heimat? Der See ist zwar vom schleichenden Untergang bedroht, Gulzar aber könnte durch sein Bleiben dazu beitragen, ihn zu retten, um so das traditionelle Leben an seinen Ufern zu bewahren.
Bob Dylan, The Beatles, The Rolling Stones: Wer auch nur ein kleines bisschen von Musik versteht, kennt diese Namen. Der Name Sixto Rodriguez wird aber bei den meisten für Fragezeichen sorgen. So nicht in Südafrika. Dort ist der Mann aus Detroit ein Superstar. Niemand weiss zwar genau, wie seine Musik über den grossen Teich kam, doch dort mal angekommen, verbreitete sie sich wie ein Lauffeuer und wurde zum Soundtrack der Anti-Apartheid-Bewegung.
«Searching for Sugar Man» ist eine bewegende Dokumentation über den tot geglaubten Folksänger Sixto Rodriguez, der von zwei südafrikanischen Fans aufgespürt wurde. In den Siebzigerjahren war Rodriguez ein bekannter Name in der Musikbranche: Entdeckt wurde er in einer kleinen Bar in Detroit, wo zwei Produzenten von seinen eingängigen Songs und tiefgründigen Texten sofort angetan waren. Gemeinsam haben sie ein Album aufgenommen, das die Charts eroberte. Von einem Tag auf den anderen wurde es jedoch ruhig um ihn. Er war verschollen, ja sogar für tot gehalten, während seine Fangemeinde vor allem in Südafrika sein Andenken lebendig hielt. Zwei seiner südafrikanischen Fans machten sich auf die Suche nach dem Künstler – mit überraschendem Ergebnis.
Das Kinodebüt des französischen filmemachers Pascal Pilison zeigt mit überwältigenden Aufnahmen, wie unterschiedlich und abenteuerlich der Weg zur Schule sein kann. Ob gefährlich nah an einer Elefantenherde vorbei, über steinige Gebirgspfade, durch unwegsame Flusstäler oder mit dem Pferd durch die Weite Patagoniens – Jackson (10) aus Kenia, Zahira (11) aus Marokko, Samuel (11) aus Indien und Carlito (11) aus Argentinien haben eines gemeinsam: Ihr Schulweg ist sehr lang und gefahrvoll, doch ihre Lust am Leben und am Lernen ist grösser. Sie wissen alle, welches Privileg ihre Ausbildung ist. Trotzdem sind sie natürlich auch ganz normale Kinder, die einfach Spass haben wollen: So räumen sie mit viel Eigensinn und noch mehr Einfallsreichtum Hindernisse aus dem Weg, überwinden Ängste und leben vor, was so oft in den Industrienationen vergessen wird: Dass auch der Weg ein Ziel sein kann. Mit viel Gespür für Situationskomik porträtiert der Film seine kleinen Helden und feiert ganz nebenbei die Bildung, die oft zu Unrecht als Beschwernis wahrgenommen wird.
Der analythische Forensiker Eusebio, dessen Aufgabe die Reinigung von Fundorten menschlicher Leichen ist, hat Schwierigkeiten mit seiner Sozialkompetenz. Eines Tages gerät er jedoch in die Verantwortung für ein achtjähriges Waisenkind, das nach einer mysteriösen Epidemie in Lima als einziger Mensch überlebt hat. Wider Erwarten erwachen elterliche Gefühle. Während Filme mit ähnlichen Themen mit ihrer beschuldigenden Schwarzmalerei durchschnittlich abschneiden, erfindet der zum Zeitpunkt des Drehs erst 22-jährige Adrián Saba sowohl das Genre des «Virusfilms» als auch das Bild von Lima neu. «El Limpiador» erhält den Sonderpreis am San Sebastian International Film Festival 2012 und erfreut sich grosser Anerkennung an zahlreichen anderen Festivals.
Die junge Jüdin Sulamit Löwenstein wächst mit ihren Eltern in den 1950er Jahren in Argentinien auf und verliebt sich in ihren deutschen Nachbarn Friedrich, dessen Vater ein Nazi-Scherge war. Argentinien ist in den 50er-Jahren der beliebteste Zufluchtsort von Alt-Nazis auf der Flucht vor der Verantwortung für ihre grauenvollen Verbrechen. Dort wächst die junge Jüdin Sulamit Löwenstein auf, deren Eltern es nicht gerne sehen, dass ihre Tochter Zeit mit dem deutschen Nachbarsjungen Friedrich Burg verbringt. Immerhin wird gemunkelt, dass dessen strenger Vater ein untergetauchter Nazi-Scherge sei. Sulamit und Friedrich verlieben sich ineinander und ziehen zum Studieren nach Deutschland. In der Zwischenzeit konnte Friedrich die tragische Wahrheit über seinen Vater herausfinden und bricht mit ihm. Um sich so weit wie nur möglich von der väterlichen Schuld zu entfernen, setzt sich Friedrich verbissen gegen jede Ausprägung des Faschismus ein und unterstützt die deutsche Studentenbewegung. Wenig später kehrt er nach Argentinien zurück, um gegen die dortige Militärdiktatur zu kämpfen. Erst sehr viel später und nach vielen Irrwegen finden sich Sulamit und Friedrich schliesslich im fernen Patagonien wieder.
Anschliessend Filmgespräch mit Jeanine Meerapfel, Moderation Helena Nyberg
Ein Meisterwerk des japanischen Kinos und einer der schönsten Filme über familiäre Beziehungen überhaupt. Die Grosseltern Shukichi und Tomi Hirayama beschliessen, ihre erwachsenen Kinder und deren Familien in Tokyo zu besuchen. Dort angekommen erkennen sie, dass der älteste Sohn Koichi, ein Arzt, und die älteste Tochter Shige, die einen Schönheitssalon betreibt, wenig Zeit für sie haben. Einzig Noriko, die Witwe des im Zweiten Weltkrieg gefallen Sohns, bemüht sich um ihre Schwiegereltern. Nach nur wenigen Tagen in Tokyo schieben Koichi und Shige ihre Eltern in ein Seebad ab. Dort fühlen sie sich aber nicht wohl, so dass sie nach Tokyo zurückkehren. Shukichi verbringt dort einen Abend mit ehemaligen Freunden und Nachbarn in einer Kneipe, während Tomi die Nacht bei Noriko verbringt. Bei der Rückfahrt in den Heimatort erkrankt Tomi schwer, weshalb die Reise bei dem jüngsten Sohn in Osaka unterbrochen werden muss. Zurück in der eigenen Wohnung verschlechtert sich Tomis Zustand, und die Kinder eilen an das Sterbebett ihrer Mutter. Nach der Beerdigung reisen alle Kinder möglichst schnell wieder ab, einzig die Schwiegertochter Noriko und die noch im Elternhaus lebende jüngste Tochter bleiben bei Shukichi zurück.
Ein Regisseur verbeugt sich vor seinem Lehrer und Vorbild: Yoji Yamada war Regieassistent bei Yazujiro Ozus «Toky o Monogatari», jener bewegenden Familienstudie aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Nun hat er ein Remake dieses Meisterwerks gedreht und holt mit nur wenigen Abweichungen die Geschichte des älteren Ehepaares Shukichi und Tomiko Hirayama in das gegenwärtige Japan. Noch einmal möchte das Paar sein beschauliches Leben in der Provinz verlassen, um Kinder und Enkel in Tokyo zu besuchen. Doch die beiden müssen erleben, dass weder der älteste Sohn Koichi, ein Arzt, noch die älteste Tochter Shigeko, die einen Schönheitssalon betreibt, Zeit für sie haben. Sie sind zu beschäftigt mit ihren Alltagssorgen. Auch der jüngste Sohn geht seiner eigenen Wege. In der hektischen Grossstadt wirkt das alte Paar einsam und verloren. Yamada übernimmt Ozus ruhigen Blick auf die Familiensituation, und auch 60 Jahre später hat dieser Stoff nicht an Aktualität verloren. Die Generationen sind sich nicht nähergekommen. Die Jüngeren müssen sich in einer noch viel unübersichtlicheren Welt behaupten, und das in einem Land, in dem die Folgen des Tsunamis von 2011 noch immer den Alltag bestimmen.
«Wadjda» ist der Erstlingsfilm einer Frau, die aus einem Land stammt, in dem Frauen das Autofahren untersagt ist. Und Mädchen das Radfahren.
Jeden Tag, wenn Wadjda zur Schule geht, führt sie ihr Weg an einem Spielzeuggeschäft vorbei, das ein grünes Fahrrad führt. Jeden Tag schlägt Wadjdas Herz höher, denn dieses grüne Fahrrad zu besitzen würde auch bedeuten, sich endlich gegen den Nachbarsjungen Abdullah durchzusetzen und ihm, schnell wie der Wind, davonflitzen zu können. Obwohl es Mädchen untersagt ist Fahrrad zu fahren, heckt Wadjda einen Plan aus, wie sie mit verbotenen Geschäften auf dem Schulhof Geld für das grüne Fahrrad verdienen kann. Doch Wadjdas Geschäfte fliegen auf und es bleibt ihr nur ein letzter Strohhalm: sie muss unbedingt den Koran-Rezitationswettbewerb gewinnen, der mit einem hohen Preisgeld dotiert ist. Mit viel Eifer und Erfindungsgeist macht sich Wadjda an die schwierige Aufgabe und wird zur allgemeinen Überraschung zur frömmsten aller Schülerinnen erkoren. Doch der Weg zum eigenen Fahrrad birgt noch grössere Schwierigkeiten für sie. «Wadjda» ist der erste Film, der je in Saudi Arabien gedreht wurde.
Mark Cousins’ «The Story of Film: An Odyssee» ist ein Ereignis. Der nordirische Filmkritiker hat auf der Grundlage seines Buches „The Story of Film“ (2004) eine Reise durch die Filmgeschichte angetreten, die unterhaltsam, abenteuerlich und zugleich angenehm persönlich ist.
In 15 Teilen, insgesamt 900 Minuten, erkundet er die Geschichte des Films von den Anfängen bis in die Gegenwart und denkt über die Zukunft des Kinos nach. Behutsam wie ein Archäologe legt er verborgene Schichten frei, schildert etwa die bedeutende, später verdrängte Rolle von Frauen in den Anfangstagen von Hollywood. Sein Blick richtet sich nicht nur auf die Filmzentren in Europa und den USA.
Cousins ist ein cineastischer Weltbürger, der uns das asiatische, lateinamerikanische und afrikanische Kino nahebringt und damit die verengte Sicht vieler bisheriger Filmgeschichten überwindet. Aber auch das Vertraute erscheint bei ihm neu und überraschend. Cousins analysiert als scharfsinniger Beobachter klassische Szenen, beschreibt Aufbau und Rhythmus, vergleicht und stellt oft verblüffende Zusammenhänge zwischen Filmen und ihrer Bildsprache her. Seine Filmreise wird so zu einer Schule des Sehens. Das grosse Thema von Mark Cousins, der den Kommentar im Original selbst spricht, ist die filmische Innovation. In jeder Epoche, in jeder nationalen Schule sucht er nach den Quantensprüngen, nach den Pioniertaten, die das Kino verändert und geprägt haben, deckt Neuerungen auf, nach denen nichts mehr war wie vordem – ob in den fantastischen Welten des George Méliès oder in den mystischen Visionen des Andrej Tarkowski. Cousins‘ ungeheures Wissen, die Komplexität seines Herangehens haben dabei niemals etwas Einschüchterndes, denn immer ist spürbar: Hier spricht ein Liebender, der Kurosawa, Hitchcock und Scorsese als grosse Bildererfinder tief verehrt, ein exzellenter Kenner, der bewundern und sogar schwärmen kann. Für mich war die Arbeit an der deutschen Fassung dieses Jahrhundertwerkes, unter der Regie des erfahrenen Synchronmeisters Erik Paulsen, eine grosse Ehre, aber auch ein Intensiv-Lehrgang der Filmgeschichte. Nach jedem Tag im Tonstudio bin ich sofort in die Videothek meines Vertrauens geeilt, um die Filme sofort zu sehen, von denen er mit so viel ansteckender Begeisterung zu uns spricht. Ich garantiere Ihnen, es wird Ihnen nicht anders gehen.
( Knut Elstermann, Filmexperte von radioeins und Synchronsprecher von «The Story of Film»)
«The Story of Film» läuft von Do bis So jeweils von 10:00 bis 20:00 im xy Saal des Hotel Weiss Kreuz. Der Eintritt ist frei.