Interview mit Ernest Abdyjaparov
Ich sprach mit Ernest Abdyjaparov, einem führenden Filmregisseur aus Kirgisien, der auch als Leiter des wichtigsten unabhängigen Filmstudios der Region arbeitet.
Stefan Steinberg: Was sind die Schwierigkeiten in der heutigen Filmproduktion verglichen mit der Situation vor zehn Jahren, als Kirgisien noch Teil der Sowjetunion war?
Ernest Abdyjaparov: Die Wende war äusserst dramatisch. Als wir Teil der Sowjetunion waren, wurde das Filmemachen vom Staat subventioniert, und jährlich wurden vierzig bis fünfzig Filme gedreht. Dazu gehörten Dokumentarfilme, Kinderfilme, etc. In einem durchschnittlichen Jahr wurden drei bis vier grosse Themenfilme produziert. Seit der Unabhängigkeit 1991 gibt es von Seiten der Regierung keine finanzielle Unterstützung mehr und im Ganzen wurden nur eine Handvoll Filme produziert. In den Jahren 1995-96 wurde zum Beispiel kein einziger Film im Land gedreht.
Stefan Steinberg: Wie sieht es mit dem Kinobesuch in Kirgisien aus?
Ernest Abdyjaparov: Da hat es einen ganz ausserordentlichen Einbruch gegeben. Früher gab es ungefähr zweitausend Kinos im Land. Filme waren ein wichtiger Bestandteil des Kulturlebens. Heute sind vielleicht noch vierzig oder fünfzig Kinos übrig. Die meisten dieser Kinos zeigen amerikanische Videofilme. Wir hoffen sehr, dass es besser wird und dass wir finanzielle Unterstützung von der Regierung erhalten.
Stefan Steinberg: Wie würden Sie den Unterschied zwischen heute und vor zehn Jahren charakterisieren?
Ernest Abdyjaparov: Als Teil der Sowjetunion waren wir in der Lage, unsere Leute nach Moskau in die grossen Filmschulen zu schicken, wo sie ausgebildet wurden, worauf sie nach Kirgisien zurückkehrten, um Filme zu drehen. Ausserdem erhielten wir durch unsere Beziehung zur Sowjetunion Ausrüstung und Geld. Der Nachteil war, dass alles, was hervorgebracht wurde, nach Moskau ging, und dass es buchstäblich unmöglich war, unsere Filme einem internationalen Publikum zugänglich zu machen.
Heute haben wir kein Geld und eine äusserst beschränkte Ausrüstung, aber wenigstens die Chance, Erfahrungen auszutauschen und unsere Filme einem internationalen Publikum vorzuführen. Die Probleme, die wir zur Zeit durchmachen – und da spreche ich nicht nur über das Kino, sondern die schwierige Wirtschaftssituation in meinem Land – bringen es mit sich, dass es viel Nostalgie für das alte System gibt. Jeder weiss, dass es kein Zurück zu den alten Zeiten gibt, aber dennoch existiert diese Nostalgie.
Stefan Steinberg: Es scheint, als gäbe es keine osteuropäischen Filme, die sich mit den Erfahrungen unter dem sowjetstalinistischen System auseinandersetzen. Gibt es kirgisische Filme, die solche Themen aufgreifen?
Ernest Abdyjaparov: Eigentlich nicht. Nun, da wir die Kontrolle aus Moskau los geworden sind, sehe ich unsere Hauptaufgabe als Filmemacher darin, unsere besondere Kultur und Mentalität wiederaufleben zu lassen.